Wann Zeugen bei der Polizei aussagen müssen, wurde neu geregelt. Das beinhaltet höchstes Gefahrenpotenzial und wird in der Praxis zu einer Beschneidung der Rechte von Zeugen im Strafverfahren führen.
Während bislang Zeuginnen und Zeugen selbst entscheiden konnten, ob sie auf Ladung der Polizei zum einen dort erscheinen, zum anderen eine Aussage machen, ist dies zukünftig nicht mehr vorbehaltlos der Fall. Das Gesetz zur effektiven und praxistauglichen Ausgestaltung des Strafverfahrens führt durch eine Ergänzung/Ersetzung der maßgeblichen Regelung in § 163 Abs. 3, 4 StPO zu einer massiven Beschneidung der Rechte von Zeuginnen und Zeugen:
§ 163 Absatz 3 wird durch die folgenden Absätze 3 bis 7 ersetzt:
„(3) Zeugen sind verpflichtet, auf Ladung vor Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt. Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten die Vorschriften des Sechsten Abschnitts des Ersten Buches entsprechend. Die eidliche Vernehmung bleibt dem Gericht vorbehalten.
(4) Die Staatsanwaltschaft entscheidet
1. über die Zeugeneigenschaft oder das Vorliegen von Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrechten, sofern insoweit Zweifel bestehen oder im Laufe der Vernehmung aufkommen,
2. über eine Gestattung nach § 68 Absatz 3 Satz 1, Angaben zur Person nicht oder nur über eine frühere Identität zu machen,
3. über die Beiordnung eines Zeugenbeistands nach § 68b Absatz 2 und
4. bei unberechtigtem Ausbleiben oder unberechtigter Weigerung des Zeugen über die Verhängung der in den §§ 51 und 70 vorgesehenen Maßregeln; dabei bleibt die Festsetzung der Haft dem nach § 162 zuständigen Gericht vorbehalten. Im Übrigen trifft die erforderlichen Entscheidungen die die Vernehmung leitende Person.
(5) Gegen Entscheidungen von Beamten des Polizeidienstes nach § 68b Absatz 1 Satz 3 sowie gegen Entscheidungen der Staatsanwaltschaft nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 und 4 kann gerichtliche Entscheidung durch das nach § 162 zuständige Gericht beantragt werden. Die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309, 311a und 473a gelten jeweils entsprechend. Gerichtliche Entscheidungen nach Satz 1 sind unanfechtbar.
(6) Für die Belehrung des Sachverständigen durch Beamte des Polizeidienstes gelten § 52 Absatz 3 und § 55 Absatz 2 entsprechend. In den Fällen des § 81c Absatz 3 Satz 1 und 2 gilt § 52 Absatz 3 auch bei Untersuchungen durch Beamte des Polizeidienstes sinngemäß.
(7) § 185 Absatz 1 und 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes gilt entsprechend.“
In der Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 163 StPO heißt es insbesondere wie folgt:
„Um die Staatsanwaltschaft vor dem Hintergrund knapper Ressourcen von sachlich nicht zwingenden Zeugenvernehmungen zu entlasten, ohne damit zugleich ihre Sachleistungsbefugnis im Ermittlungsverfahren in Frage zu stellen, sieht § 163 Abs. 3 S. 1 StPO die Verpflichtung von Zeugen vor, auf Ladung vor Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt. Die Erscheinens- und Aussagepflicht von Zeugen vor der Polizei ist daher von einer vorherigen Entscheidung der Staatsanwaltschaft abhängig.“
Voraussetzung für eine Erscheinungs- und Aussagepflicht des Zeugen ist also zunächst ein entsprechender Auftrag der Staatsanwaltschaft. Nur dann ist ein Zeuge auch verpflichtet zu erscheinen und auszusagen. Liegt ein derartiger Auftrag nicht vor, bleibt es beim Bisherigen: Der Zeuge ist weder verpflichtet zu erscheinen, noch auszusagen.
Liegt ein derartiger Auftrag der Staatsanwaltschaft vor und erscheint der Zeuge dennoch nicht, kann die Staatsanwaltschaft das Erscheinen und die Aussage erzwingen, beispielsweise durch einen Antrag auf Ordnungs- und Erzwingungshaft bei Gericht, Zwangsgeldern oder Vorführung durch die Polizei.
Von entscheidender Bedeutung ist diese Änderung in Fällen, in denen nicht eindeutig klar ist, ob ein Beteiligter als Zeuge oder als Beschuldigter in einem Verfahren zu führen ist. Dann besteht das erhebliche Risiko, dass die Polizei nach vorausgehendem Antrag der Staatsanwaltschaft einem Beteiligten als Zeugen vorlädt, dieser dann auch erscheinen und aussagen muss und im Laufe der Befragung (z.B. nach neuen Erkenntnissen) über seine nunmehr bestehende Beschuldigteneigenschaft belehrt wird. Dieselbe Problematik wird sich stellen, wenn unklar ist, ob ein Zeuge sich auf ein vollumfängliches Zeugnisverweigerungsrecht oder lediglich auf ein Auskunftsverweigerungsrecht berufen kann.
Diese und weitere Fragen dürften zukünftig Ermittlungsverfahren und sich anschließende gerichtliche Verfahren erheblich beeinflussen, wobei auch hier der immer wieder gepredigte Grundsatz gilt: Fehler eines Beteiligten (z.B. unüberlegte Aussagen), die zu einem frühen Zeitpunkt im Ermittlungsverfahren begangen werden, können später in der Regel nicht mehr korrigiert werden. Vor diesem Hintergrund gilt umso mehr nunmehr auch für Zeugen, die in das Fadenkreuz der Ermittler gelangt sind: Frühzeitig einen Rechtsanwalt zu kontaktieren.
Der Autor Udo Reissner ist Strafverteidiger und Fachanwalt für Verkehrsrecht in der überörtlichen Anwaltskanzlei Reissner, Ernst & Kollegen.
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