Tödden – Wer sind die denn? Über alte Zeiten der Wirtschaft, des Handels und der Handelswege in Oldenburg und Umgebung, von Thomas Friese, Oldenburg, Berlin
Die Tödden waren in Nordwestdeutschland fußreisende Kaufleute, die mit der Ware auf dem Rücken, „halb Europa durchkriechen“, mit einem „kleinen Kram hausieren und so ihre Kost suchen“. Es stammt vom plattdeutschen Wort „totten“ (tragen). Meist kamen die Händler mit ihren Waren aus den Niederlanden oder Belgien. Der Weg verlief durch das Heger Holz in Osnabrück, vorbei am Rubbenbruchsee, Gut Leye, Sloopsteine, Westerkappeln, Mettingen, Dickenberge, Heiliges Meer, Hopsten, Rheine entlang der Ems durch Bad Bentheim und Gildehaus. Gehandelt wurde mit Stoffen und Bekleidung. Wir müssen unterscheiden zwischen den Tödden Nachfahren, den Tödden Großhändlern und den eigentlichen Tödden, den Packenträgern. Die Tödden Nachfahren sind hierbei heute die Besitzer großer Textilkaufhäuser oder auch Kaufhausketten wie beispielsweise C. & A. Die Gründer dieser Handelshäuser haben einst als einfache wandernde Tödden angefangen, sind später sesshaft geworden und haben meist in ihren Handelssorten Textilgeschäfte eingerichtet. Die Tödden Großhändler versorgten die Packenträger mit Ware, zum Teil auf Kredit. Sie kauften diese in großen Mengen auf den Messen ein und ließen sie mit Planwagen in ihre Lager schaffen. Ein Großhändler hatte oft bis zu 200 einfache Tödden in seinem Dienst, die die Waren dann in Nordeuropa an den Endverbraucher brachten. Tödden legten weite Strecken fußläufig zurück, starteten im Frühjahr, kehrten im Sommer nach Hause, um ihre Kundschaft auf dem Land bei den Erntearbeiten nicht zu stören. Ende August begannen sie eine erneute „Reise“ und bei Wintereinbruch kehrten sie zurück in die Heimat, um das Weihnachtsfest im Kreis der Familie zu feiern. Heinrich von Kleist Novelle „Michael Kohlhaas“ ist weltbekannt, der Anfang von Kleists Novelle über den Pferdehändler Michael Kohlhaas gibt einen guten Einblick in die damaligen Schwierigkeiten dieser Händler. Der Handel wurde erschwert an Stadttoren wegen unterschiedlicher Zölle und unterschiedlicher Währungen.
Zeitliche Einordnung – 200 Jahre Herrlichkeit
Die Anfänge der Tödden lagen in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges – auch damals herrschten Handelskriege. Die Hanse sah die Händler aus dem platten Lande als Konkurrenz und versuchte diese zu verhindern. Auch der Staat Preußen versuchte zum Beispiel „ausländische“ Händler zu reglementieren. Konflikte gab es insbesondere mit Händlern aus den Niederlanden und Belgien. Geografische Unterschiede, die heute keiner mehr kennt, konnten für die kleinen Händler und Hausierer entscheidend sein. Ein kleiner Ort namens Hopsten in Norddeutschland war ein Steuerparadies wie unser heutiges Monaco. Ein Grund, warum Großhändler und auch viele kleine Packenträger nach Hopsten zogen und diesen Ort zum Zentrum des Töddenhandels machten, war, dass Hopsten zum Fürstbistum Münster gehörte. Das bedeutete, dass seine Bewohner keine Handelsbeschränkungen kannten, auch keine Wehrpflicht wie in Preußen, keine hohen Steuern und keine Glaubenswirren – mal katholisch, mal evangelisch erleiden mussten. Hopsten war, was heute Monaco ist: ein Steuerparadies. Es hieß in jener Zeit: „Alle großen Wohngebäude in Hopsten sind von Auswärtigen oder deren Nachkommen errichtet worden.“ Die Händler waren offenbar treue Ehemänner. Dazu findet sich eine Aussage aus Lingen im Emsland: „Wegen Ehebruchs Sachen werden keine Klagen geführt, weil die Lingische Nation zu dergleichen Vergehen überhaupt nicht neigt.“ Der Handel ging immer weiter und wurde überregionaler. Manche Händlerfamilien wurden reich, andere gaben den Handel irgendwann auf: Die angesehenste Unternehmens-Compagnie aus Schapen war in jener Zeit die Vaalmannsche, von der im Jahre 1787 der preußische Beamte von Bessel schrieb: „Sie ist von solcher Wichtigkeit, da sie aus preußischen (also inländischen) Fabriken jährlich für 70 bis 80 000 Reichstaler (umgerechnet ca. 1 Million Mark) oder mehr Waren nehmen. Der Handel besteht hauptsächlich aus seidenen, wollenen, halb wollenen Zitzen, Cattun und Leinenwaren, welche sie aus Berlin, Krefeld und den Bergischen Fabriken beziehen. Sie besuchen die Braunschweiger und Frankfurter Messen.“ Selbst das ferne Berlin interessierte sich für den Fernhandel.
Das Ende des Töddenhandels – Napoleon und die Gewerbefreiheit
Doch schon wenige Jahre nach 1800 kam mit Napoleon die Gewerbe- und Handelsfreiheit über Preußen und ganz Nord- und Westeuropa. Jeder, der genug Kapital hatte, konnte auf dem platten Land, in den Klein- oder Großstädten Ladenlokale oder Kaufhäuser errichten. Damit war das Ende des Töddenhandels eingeläutet. Nur in den dünn besiedelten Gegenden weitab der Städte brachte der Hausierhandel noch etwas ein. Die Zeit der Tödden Herrlichkeit war damit endgültig vorbei. Die Zeiten der großen Kaufhäuser und Kaufhausketten neigt sich nach 200 Jahren wiederum dem Ende zu. 2020 schließt Karstadt viele Filialen. Heute sind angesichts der Überwindung der Grenzen in europäischen Union Streitigkeiten rund um einen Hausiererhandel unvorstellbar. Die Waren kommen heute zum Kunden – allerdings ist der Tödde inzwischen Auslieferungsfahrer für einen großen amerikanischen Konzern.
Der Autor Thomas Friese ist Kaufmann, Immobilienexperte und Projektentwickler aus Berlin und in Oldenburg/Niedersachsen ansässig.
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Der Immobilienexperte und Projektentwickler Thomas Friese, Berlin/ Oldenburg (Niedersachsen) ist einer Ausbildung im steuerlichen Bereich seit Mitte der siebziger Jahre im Bereich Immobilienentwicklung und Vermarktung tätig.
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