Der Sprecher des Philosophischen Laienarbeitskreises, Dennis Riehle (Konstanz), hat eine Stellungnahme zur Frage der leiblichen Auferstehung Jesu veröffentlicht:
Wurde das Grab verwechselt? Hat jemand den Leichnam entführt? Täuschten sich die Frauen? Oder ist Jesus gar nicht gestorben? – Jedes Jahr zu Ostern stellt sich wiederholt die Frage, wie das denn nun wirklich war mit der Auferstehung Christi. Zahlreiche Geistliche sind nämlich der Überzeugung: Hat Gott seinen Sohn nicht tatsächlich von den Toten erweckt, ist der christliche Glaube nichts wert. Doch stimmt das wirklich? Ich selbst bin der Überzeugung, dass der „König der Juden“ trotz des Martyriums am Kreuze und den Stich mit dem Schwert in die Seite nicht derart schwer verletzt gewesen sein muss, dass er im medizinischen Sinne tot war. Viel eher gab es zur damaligen Zeit keine objektiven Mittel, das Ableben eines Menschen mit endgültiger Gewissheit feststellen zu können. Bewusstlos, im Koma, Hirntod – und dann möglicherweise aufgeschreckt, aus dem Grab entschwunden und ohne jegliches Wunder den Nachfolgern leibhaftig erschienen.
Ich halte dies keinesfalls für abwegig, sondern durchaus im Bereich des Möglichen. Denn im Vergleich zu anderen Toten wurde Jesu Leichnam recht früh herabgenommen und nach jüdischer Tradition beigesetzt. Somit waren noch keine eindeutigen Anzeichen für den eingetretenen Tod erkennbar gewesen. Man muss sich wohl auf die subjektive Annahme verlassen haben, wohingegen Christus am Kreuz hängend als verschieden aussah. Ob wesentliche Vitalparameter kontrolliert wurden, weiß man nicht wirklich. Auch die Tatsache, dass aus seinen Wunden Blut und Wasser floss, ist kein wegweisender Hinweis für einen abgeschlossenen Sterbeprozess – im Gegenteil. Und die bloße Vermutung, er sei durch die Qualen des Kreuzwegs von uns gegangen, rechtfertig nicht die zwingende Gewissheit der heutigen Theologie, wonach Jesus im eigentlichen Sinne verstarb und somit aus der Abwesenheit von Körper und Geist zurück in die Welt gekommen war. Seine lebendige Auferstehung kann insofern mit einer nicht unbeträchtlichen Wahrscheinlichkeit schon deshalb nicht stattgefunden haben, weil es für das Aufwachen aus einem unterbewussten Zustand keines mystischen Eingriffs Gottes bedarf.
Dennoch kann auch eine solche Überzeugung nicht über die Freude hinwegtäuschen, dass ein dem Tod geweihter Mensch ins irdische Dasein zurückgekehrt ist. Denn ohnehin fällt es einer Mehrheit der Christen schwer, an die leibhaftige Auferstehung zu glauben – gerade, wenn es um die eigenen Angehörigen und die Menschen der Gegenwart geht. Die Vorstellung, dass die Verstorbenen wieder zu Fleisch werden und von den Toten auf die Erde zurückkehren, ist heute vielen Kirchenanhängern fremd. Auch das Geschehnis auf Golgatha und die sich anschließende Ostergeschichte wird immer öfter als Parabel verstanden. Und während gerade die katholische Kirche die Gegenwart Gottes durch den wahrhaftigen Leib und das Blut Jesus bereits in der Eucharistie feiert, differenzieren Protestanten an dieser Stelle ausdrücklich und verstehen Brot und Wein als Symbole für die geistige Anwesenheit des Messias. Braucht der Glaube also ein Geheimnis, einen unerklärlichen Umstand, um faszinieren zu können? Ungewissheit kann Menschen in beständige Angst und Verunsicherung zwingen. Sie zerbrechen sich den Kopf, wie das vor 2000 Jahren gewesen sein möge. Und ihnen geht die Substanz ihrer christlichen Überzeugung nahezu vollends verloren, sofern die Auferstehung nicht als Prozess vom Herabfahren in das Reich des Todes, die Auffahrt in den Himmel, der leibhaftigen Wiederkehr zur Richtung der Lebendigen und der Toten, seiner Himmelfahrt und seines Sitzens zur Rechten Gottes gilt. Tatsächlich muss man aber entgegenhalten: Büßt die Ostergeschichte tatsächlich an Hoffnung, Freude, Liebe und Zuversicht ein, wenn wir sie lediglich allegorisch verstehen? Ist es nicht viel beruhigender, wenn wir pragmatisch darauf vertrauen:
Schlussendlich ist der Tod nicht das Letzte. Unsere Verstorbenen leben nicht leibhaftig, aber in unseren Gedanken und Erinnerungen weiter. Sie haben Spuren im Sand des Lebens hinterlassen, die heilvoller sein können als das ungeduldige Erwarten ihrer fleischigen Rückkehr in dieser oder einer anderen Welt. Das „Ewige Leben“ als Ausdruck dessen, dass wir sie nicht vergessen werden, sie ihren Platz in unseren Herzen haben und wir eine gemeinsame Wegstrecke gegangen sind? Möglicherweise kann eine solche Blickweise mancher Enttäuschung und Verbitterung vorbeugen, wenn wir irgendwann einmal gemeinsam verschieden sind und entsetzt feststellen müssen, dass wir das irdische Leben deutlich stärker hätten genießen und im Augenblick des Hier und Jetzt mit unseren Nächsten intensiver verbringen sollen, als uns auf das jenseitige Wiedersehen vertrösten zu lassen. Ist der christliche Glaube ohne Jesu Auferstehung im Sinne der biblischen Buchstaben tatsächlich leer und lahm? Oder kann nicht sogar ein pragmatisches Verständnis der Ostergeschichte dabei helfen, mit dem Thema des Todes realistischer umzugehen? Solange wir auf leibhaftige Rückkehr und das himmlische Zusammentreffen mit unseren Liebsten vertrauen, vernachlässigen wir allzu gerne ein von Nächstenliebe, Hingabe und Wertschätzung getragenes Verhalten im Diesseits. Das Leben findet heute statt, nicht übermorgen.
Muss Glaube unerklärbar sein und das Wichtigste in die ferne Zukunft vertagen? Ständig erhoffen Christen die Wiederkunft und Erlösung durch den Jesus, der die Welt früher oder später erretten wird. All sein Vertrauen auf dieses rational Unerreichbare zu lenken, nimmt uns viele Möglichkeiten, seine tatsächliche Botschaft am Kreuz schon in der Gegenwart zu praktizieren: Ob uns Gott unsere Sünden verzeiht und inwiefern Jesu Sterben dafür nötig war, bleibt ihn der Sühnetodtheologie eine hoch umstrittene Fragestellung ohne Antwort. Allerdings spricht nichts dagegen, dass wir uns selbst und anderen Menschen vergeben, Versöhnung wagen und Frieden schaffen – nicht erst irgendwann, sondern jetzt. Die Ostererzählung ist eine zutiefst von Werten gekennzeichnete Katharsis, welche durch das symbolhafte Bild der Auferstehung ihren symmetrischen Ausklang findet. Sie sollte uns Mahnung sein, Inspiration und Ermutigung zugleich. Sie wird dadurch an nichts ärmer, für uns Christen aber deutlich greifbarer.
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