Die Magie einer fernen Zeit schwingt mit, wenn die Menschen mit archaischen Masken durch Städtchen und Dörfer ziehen. Länger als irgendwo sonst in Italien haben sich auf der Insel vorchristliche Rituale zum Vertreiben des Bösen und Beschwören des Glücks erhalten. Vor allem im Karneval sind sie noch sehr lebendig.
Auftakt der sardischen Karnevals-Saison sind die Feuer zu Ehren des Sant‘Antonio Abate, eines Heiligen aus frühchristlicher Zeit, der als „Vater der Mönche“ in die Kirchengeschichte eingegangen ist. In der Nacht vom 16. auf den 17. Januar werden die Antonius-Feuer vielerorts auf der Insel nach festlichen Ritualen entfacht. In den Wochen danach herrscht karnevaleskes Treiben, das 2023 seinen Höhepunkt zwischen dem 16. Februar und dem Aschermittwoch am 22. Februar finden wird. Dabei pflegt jeder noch so kleine Ort, der den Karneval hochhält, eigenen Bräuche und Rituale, die seit Jahrhunderten von einer Generation an die nächste weitergegeben werden.
Barbagia – wo grimmige Zottelwesen tanzen
Besonders spektakulär wird Su Karrasecare, (das sardische Wort für Karneval) in der Barbagia, der einst so unwegsamen Region im Herzen der Insel, gefeiert. Mit fratzenhaften Masken tanzen furchteinflößende Mensch-Tierwesen zu mitreißenden Rhythmen durch die Straßen und ziehen Schaulustige von nah und fern in ihren Bann. Zu den größten Attraktionen gehört der Umzug der Mamuthones im Barbagia-Dörfchen Mamoiada. Mit schwarzen Schaffellen bekleidet, das Gesicht hinter schaurigen Holzmasken verborgen, ziehen die Zottelwesen lärmend durch den Ort. Den Rhythmus dazu liefern die schweren Glocken, die sie auf ihren Schultern tragen. Einhalt können ihnen nur die Issohadores bieten. Die rotgewandeten und weißmaskierten Fänger setzten die Manuthones mit ihren Seilschlingen fest. Dass bisweilen auch Zuschauende in den Fängen der Issohadores landen, gehört zum karnevalesken Spie. Auch die Besucher werden unwillkürlich Teil des ausgelassenen Treibens. In Orotelli, einem anderen, von Steineichenwäldern gesäumten Dorf in der Barbagia-Gegend, gehen die in dunkle Umhänge gehüllten Thurpos um. Pantomimisch spielen die Verkleideten Szenen aus dem bäuerlichen Alltag – als Herr und Knecht oder Mensch und Tier.
Waghalsiges Treiben hoch zu Ross
In der Gegend um Oristano lässt sich in den Karnevalstagen Bekanntschaft mit S’Urzu machen. Der Kopf eines Ziegenbocks mit langen Hörnern und dem Kopftuch einer Frau ist zentrales der uralten Rituale. In dem für Pferdezucht bekannten Städtchen Santu Lussiugiu, ebenfalls in der Provinz Oristano gelegen, sind Rösser und Reiter auch beim Karneval die Protagonisten. Sa Carrela ‘e Nanti heißt das karnevaleske Schauspiel hoch zu Ross, dessen Höhepunkt ein waghalsiges Rennen über Schotterstraßen ist. In der Provinzhauptstadt Oristano wird am Karneval die Sartiglia begangen. Dabei donnern am Faschingssonntag und am Faschingsdienstag Reiterhorden durch die Straßen. Der Rennleiter „entscheidet“ über das Schicksal der Reiter. Gelingt es ihm, mit seinem Schwert einen Stern aus Metall aufzuspießen, stehen die Chancen für eine reiche Ernte gut. So zumindest deuten die Bewohner des Städtchens das karnevaleske Schauspiel seit Menschengedenken.
Süßes Schmalzgebäck und kräftiger Wein
Bosa an der sardischen Westküste ist für einen der größten Karnevalsumzüge der Insel bekannt. Für Wechselbäder der Gefühle sorgt dort das Geschehen am Faschingsdienstag, Dann tragen Männer mit rußgeschwärzten Gesichtern Frauenmasken durch den Ort und stoßen herzzerreißende Klagelaute aus. Völlig anders ist die Stimmung dann am Abend, wenn Weißmaskierte durch den Ort ziehen, auf der Suche nach Giolzi – der Symbolfigur des Karnevals.
In Tempio Pausania, einer kleinen Stadt in der Gallura im Nordosten Sardiniens, lassen sich im Karneval Einflüsse aus der toskanischen Küstenstadt und Karnevalshochburg Viareggio ausmachen. Wie in Viareggio ziehen auch in Tempio Pausania allegorisch geschmückte Umzugswagen mit riesigen Figuren an den Schaulustigen vorbei und nehmen soziale und politische Ereignisse aufs Korn. Wenn Sardinnen und Sarden Karneval feiern, gehören natürlich immer auch traditionelle Leckereien dazu. Am liebsten versüßt man sich die tollen Tage mit zeppole, dem traditionellen Schmalzgebäck, das es in unzähligen lokalen Varianten gibt. Sardiniens charaktervoller Wein darf im Karneval natürlich auch nicht fehlen.
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