Reputationsrecht – Bundesgerichtshof entscheidet die Frage, wie ein Betroffener überhaupt an einen Internetriesen „herankommt“? Von Dr. Thomas Schulte, Rechtsanwalt in Berlin.
Bedeutet Internet eigentlich eine rechtsfreie Zone? Was tun, wenn es mal Ärger gibt? Wer im Internet unterwegs ist, macht sich zumeist überhaupt keine Gedanken, was im Falle einer Störung zu tun ist oder ob ein Betroffener gegen die großen Internetteilnehmer wie Google, Meta (Facebook und Instagram) und so weiter überhaupt klagen kann. Rechtsstaatlichkeit muss bedeuten, dass Ungerechtigkeiten korrigiert werden können – notfalls über eine Klage. Wer keine Adresse hat, kann auch nicht verklagt werden. Und diese fehlende Adresse ist einer der Hauptgründe, warum es im Internet sehr brutal zugeht.
Wer juristisch nicht erreichbar ist, macht es selbst dem deutschen Staat schwer. Telegram ist so ein Beispiel. Deutschlands Politik diskutiert, ob man diesem Dienst überhaupt beikommen kann. Wer keine Adresse hat, kann auch nicht belangt werden.
Zustellung ist also der Zauberbegriff: Ein Rechtsakt wie ein Steuerbescheid oder eine Klage müssen zugestellt werden. D.h.: Der Fetzen Papier muss nachweisbar dem Internetriesen übergeben werden.
Zustellmöglichkeit nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) nutzen?
Das war selbst bei US Konzernen schwierig, so dass große Konzerne jetzt nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz gezwungen sind, einen POSTKASTEN in Deutschland vorzuhalten. Dieser trägt den passenden Titel: inländischer Zustellungsbevollmächtigter. Wer also dieser etwas sendet, kann sicher sein, dass der Brief als zugestellt gilt. Anbieter großer sozialer Netzwerke wie Facebook müssen einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten (§ 5 Absatz 1 NetzDG) bestellen. So kann sichergestellt werden, dass eine Klage wegen Löschung von Inhalten bei Facebook überhaupt zugestellt werden kann. Der Bundesgerichtshof musste nun entscheiden, ob dieser Zustellbevollmächtigte nun als allgemeiner Briefkasten fungiert (was praktisch wäre) oder nur für Probleme um das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (primär Löschungen von rechtswidrigen Inhalten) zuständig ist. Das ist ein großer Unterschied. Beispiel: Kann also ein Steuerbescheid zugestellt werden oder nur eine Klage betreffend das Netzwerkdurchsetzungsgesetz?
Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Zustellung
Ob eine Zustellung an den inländischen Beauftragten einer Social-Media-Plattform erfolgen kann, hängt davon ab, auf welcher Grundlage der Anbieter die Entfernung von Inhalten oder die Sperrung von Konten veranlasst hat oder zu veranlassen beabsichtigt. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Vermutung eines rechtswidrigen Inhalts im Sinne des § 1 Abs. 3 NetzDG als Anknüpfungspunkt dient. Mit anderen Worten: Zustellung an den Zustellbevollmächtigten nur bei Problemen mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Andere Briefe gelten als nicht zugestellt.
Worum ging es? Facebook hat den Kommentar entfernt und das Profil gesperrt
Ein Nutzer hatte in etwas geschrieben: „Das deutsche Volk ist bei Wahlen zu dumm, um intelligent abzustimmen.“ Facebook löschte den Kommentar und sperrte für 30 Tage das Konto. Der Nutzer zog vor Gericht, weil er mit der Entscheidung nicht einverstanden war. Das Landgericht Bonn untersagte dem Unternehmen im August 2021 vorläufig, den Kommentar zu entfernen oder das Profil des Mannes zu sperren. Dieses ließ den Beschluss Anfang September 2021 an eine Berliner Anwaltskanzlei als inländische Zustellungsbevollmächtigte des Schuldners nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) zustellen, zunächst per Parteizustellung von Anwalt zu Anwalt, am 10. September 2021 dann per Gerichtsvollzieher. Beide Zustellungen wurden von der Anwaltskanzlei in der Hauptstadt abgelehnt, weil sie noch nicht zur Bearbeitung des Verfahrens befugt sei. Da das Konto nicht frei war, wurde ein Ordnungsgeld verhängt. Jetzt argumentierte der Konzern, dass er das Urteil rechtlich nicht korrekt erhalten habe.
Verlässliche Unterstützung durch das NetzDG?
Die Darlegungs- und Beweislast für eine wirksame Zustellung liegt bei dem Nutzer. Dazu gehören auch die in § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG geregelten Zustellungspflichten.
Ergebnis:
Eine Zustellung nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist nur zulässig, wenn es sich um Inhalte handelt, die nicht nur rechtswidrig oder falsch, sondern strafrechtlich relevant sind. Das ist gemäß § 1 Abs. 3 NetzDG zu prüfen.
Wer also Ärger im Internet hat, braucht absolute Spezialkenntnisse, um sich zu wehren. Die Mischung zwischen Internetmacht der Konzerne und dem Fehlen vernünftiger klarer Gesetze erschwert die Durchsetzung von Gerechtigkeit.
Denn eine Zustellung an den Großkonzern ist nur möglich, wenn es sich um ein Problem nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz handelt: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll allerdings nur Hetze und Fake-News im Netz unterbinden, nicht mehr und nicht weniger.
Worum es beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz geht.
V.i.S.d.P.:
Dr. Thomas Schulte
Die Kanzlei Dr. Schulte Rechtsanwälte ist seit 1995 erfolgreich zivilrechtlich schwerpunktmäßig auf dem Gebiet des Internets-, Reputations- und Wettbewerbsrecht tätig. Sie vertritt bundesweit die Interessen einzelner Anleger. Ergänzende Absenderangaben mit dem Kanzleistandort finden Sie im Impressum auf der Internetseite www.dr-schulte.de.
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