Reinhard Nissl, Personalleiter und Mitglied der Geschäftsleitung von Microsoft Deutschland, diskutiert im Interview die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) in Studium und Beruf. Gemeinsam mit Microsoft hat die Carl Remigius Fresenius Education Group (CRFEG), einer der größten privaten Bildungsanbieter Deutschlands, eine datenschutzkonforme KI-Plattform namens NextGeneration:AI für 36.000 Studierende, Lehrende und Mitarbeitende eingeführt.
Herr Nissl, ist das eines Ihrer letzten Interviews, das Sie persönlich führen? Werden Sie das zukünftig von KI erledigen lassen?
Reinhard Nissl: Definitiv nicht. KI kann uns zwar unterstützen, aber eine persönliche Verbindung zwischen Menschen kann sie nicht ersetzen.
Wir hören immer wieder, KI zieht eine tiefgreifende Veränderung aller Berufsbilder nach sich. Was sind das konkret für Veränderungen?
Reinhard Nissl: Da stecken wir mittendrin, das herauszufinden. Wenn wir einer McKinsey-Studie aus dem vergangenen Jahr mit dem Titel „Generative KI kann zum Produktivitätsbooster werden“ glauben, so wird sie in Deutschland und Europa erstmal für einen Produktivitätsschub sorgen.
Inwiefern?
Reinhard Nissl: Künstliche Intelligenz verändert vor allem klassische Büroberufe. Durch sie kann die Effizienz gesteigert und die Qualität von Dienstleistungen verbessert werden. In unserem internen Microsoft HR Service Center beantwortet KI beispielsweise Anfragen schneller und präziser. Auch in der medizinischen Forschung sehen wir durch KI beschleunigte Ergebnisse. Die Hoffnung ist, dass Ärzt:innen auf diese Weise wieder mehr Zeit finden, den Kontakt mit den Patient:innen zu suchen.
Viele haben aber auch Angst, dass wegen KI Arbeitsplätze verloren gehen.
Reinhard Nissl: Sicher werden Arbeitsfelder verschwinden, aber es werden auch neue hinzukommen. Das stimmt mich optimistisch. Bei Microsoft haben wir eine starke Partnerschaft mit unserem Betriebsrat, um offen zu besprechen, wo wir KI nutzen wollen und welche Risiken das birgt. Wir betrachten das als gutes Mittel, den Mitarbeitenden die Angst zu nehmen.
Welche Arbeitsfelder werden sich denn konkret verändern?
Reinhard Nissl: Der Engineering-Bereich muss neu gelernt werden, das Coden mit KI. Mathematiker und IT-ler werden in Zukunft mit Hilfe von KI agiler arbeiten können. So kann KI repetitive und zeitaufwändige Aufgaben wie Code-Überprüfung und Fehlerbehebung automatisieren. Dies ermöglicht Entwicklern, sich auf komplexere und kreativere Aufgaben zu konzentrieren. Es wird auch spannende neue Berufsfelder geben, wie man zum Beispiel Kreativität in Designberufen mit KI neu denkt.
Wie können sich junge Menschen für diesen neuen Arbeitsmarkt wappnen?
Reinhard Nissl: Sie sollten vor allem ihre Soft Skills stärken, wie Resilienz, kontinuierliches Lernen, Offenheit für Veränderungen, Empathie, Kreativität und ethisches Bewusstsein. Die ständigen Veränderungen in allen Industriebereichen benötigen ein hohes Maß an Aufgeschlossenheit – und an Risikobereitschaft. Ich muss bereit sein, das Altbekannte für etwas Neues zu verlassen, in der Hoffnung noch erfolgreicher zu sein. Ich selbst habe mich übrigens auch stetig weiterentwickelt. Ich habe eine Ausbildung als Müller in einer Großindustrie-Mühle gemacht und erst danach den Weg über ein Betriebswirtschaftsstudium und Praktika in den Personalbereich gefunden.
Haben Sie einen Tipp, welche Studiengänge besonders erfolgsversprechend in Zukunft sein werden?
Reinhard Nissl: Technologieunternehmen wie wir werden vor allem nach Talenten mit IT- oder Wirtschaftsinformatik-Studium suchen. Für den deutschen Markt sind Studiengänge wie Medizin, BWL, Sozialwissenschaften, Pädagogik und künstlerische Bereiche genau so vielversprechend. Wichtig ist, sich in ihnen mit KI zu beschäftigen, weil KI in allen Berufsbildern eine Rolle spielen wird.
Microsoft hat sich mit der Carl Remigius Fresenius Education Group zusammengetan und gemeinsam mit dem IT-Dienstleister scioneers „NextGeneration:AI“ auf die Beine gestellt. „NextGeneration:AI“ ist eine eigene datenschutzkonforme Plattform für die Sprachmodelle ChatGPT, Mistral und Llama. Seit dem Sommersemester 2024 haben alle 36.000 Studierenden, Lehrenden, Mitarbeitenden der 17 Bildungsmarken der CRFEG einen Zugang erhalten. Was ist der Vorteil, wenn Hochschulen ihren Studierenden eine KI zur Verfügung stellen?
Reinhard Nissl: Studierende sollten so früh wie möglich den professionellen Umgang mit KI lernen. Das bereitet sie optimal auf die Anforderungen des modernen Arbeitsmarktes vor.
Doch die Angst besteht, dass sie sich Haus- und Bachelor-Arbeiten schreiben lassen. Wofür sollten Studierende eine KI nutzen?
Reinhard Nissl: Wenn ich überlege, was bei mir in meinem Studium hängen geblieben ist, so sind es die Diskussionen mit den Professor:innen, der Austausch mit Studierenden, die Kollaboration in Projektarbeiten, das Miteinander-Arbeiten und Voneinander-Lernen. Zudem die Methodik des wissenschaftlichen Arbeitens. Das ist durch KI nicht zu ersetzen. KI hätte mich bei Recherchearbeiten, beim Verfassen von Texten, einer Datenanalyse und der Automatisierung von Routineaufgaben unterstützen können – so können Studierende sie sinnvoll einsetzen.
Wie profitierenden die Lehrenden von einem KI-Tool?
Reinhard Nissl: Sie können sich die Frage stellen: Wie stelle ich sicher, dass meine Studierenden zu Persönlichkeiten heranwachsen mit starken Kompetenzen im Soft-Skill-Bereich? Sie können die Lehrpläne an die neuen Anforderungen anpassen und verstärkt auf die Vermittlung von Sozialkompetenzen und technologischem Wissen setzen. Kooperationen mit Unternehmen und der Einsatz moderner Technologien im Unterricht sind ebenfalls wichtig.
In Deutschland herrscht Fachkräftemangel. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln fehlen derzeit am deutschen Arbeitsmarkt etwa 573.000 qualifizierte Arbeitskräfte. Wenn Unternehmen diesen Fachkräftebedarf decken könnten, würde das deutsche Produktionspotenzial in 2024 um 49 Milliarden Euro höher liegen. Können KIs diese Lücke füllen?
Reinhard Nissl: Sie werden sicherlich dabei helfen, den Fachkräftemangel zu mildern, indem sie bestimmte Aufgaben automatisieren und effizienter gestalten. Lösen werden sie das Problem aber nicht. Dafür wird es notwendig sein, in die Ausbildung und Weiterbildung von Fachkräften zu investieren, um den Bedarf langfristig zu decken.
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Christine Schmitt
Pressesprecherin
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