Bündnis gegen Risiken in der Gesundheitscloud gebildet. Lückenhafte und riskante Speicherung von Gesundheitsdaten auf öffentlichen Servern muss verhindert werden.
Frankfurt/Bonn: Am vergangenen Samstag trafen sich in Frankfurt über 20 Datenschutz-Initiativen und zahlreiche kritische Bürger. Eingeladen hatte das Deutsche Psychotherapeuten Netzwerk. Die Teilnehmer einigten sich auf ein gemeinsames Arbeitsbündnis gegen Datenmissbrauch in der Medizin. „Es ist fünf vor zwölf. In einem Jahr sollen alle Daten gesetzlich Versicherter in einer Cloud gespeichert werden und dort nicht nur allen anderen Behandlern eines Patienten, sondern auch der Forschung zugänglich gemacht werden.“ so der Netzwerkvorsitzende Dieter Adler. Das Deutsche Psychotherapeuten Netzwerk warnt seit Jahren vor den weitreichenden Folgen der Speicherung von Patientendaten an einem zentralen Ort. Aber damit waren sie nicht allein. Viele Initiativen kämpfen in Deutschland für einen besseren Datenschutz der medizinischen Daten und gegen die blindwütige und unüberlegte Zwangsdigitalisierung der Medizin.
Datenskandale der letzten Jahre, besonders in jüngster Zeit, haben bewiesen, dass die Technologie bei weitem nicht so sicher ist wie versprochen. Selbst die für die Gesundheitscloud zuständige gematik GmbH – überwiegend im Staatsbesitz- mußte unlängst zugeben, dass 90% der Arztpraxen unsicher angeschlossen sind – sprich für Hacker angreifbar. Das konnte der Datenschutzexperte Jens Ernst aus Schwerte nachweisen: vor laufenden Kameras des NDR hackte Ernst eine Arztpraxis im Handumdrehen – selbstverständlich mit Testdaten.
Dass die Patientendaten mit veralteter Technologie gespeichert werden sollen, hatte die Fachpresse schon lange kritisiert.
Dass die jetzige Version der elektronischen Patientenakte in der Gesundheitscloud (ePA) ein Milliardengrab ist, musste vergangene Woche auch Gematik Chef Dr. Markus Leyck Dieken in einem Interview mit dem ärztlichen Nachrichtendienst eingestehen:
„Damit die ePA in den meisten Arztpraxen pünktlich zum 1. Januar 2021 funktioniert, ist eine vierte Variante des Konnektors erforderlich.“
Der Konnektor ist ein etwa 2800 Euro teueres Verbindungselement, das den Praxisrechner über das Internet mit dem Cloudserver der Gesundheitscloud verbindet. Der muss jetzt offenbar in vielen Arztpraxen ausgetauscht werden. Auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherungen.
Das Arbeitsbündnis gegen Datenmissbrauch in der Medizin spricht sich nicht grundsätzlich gegen die Digitalisierung aus. „Wir alle arbeiten mit Computern, speichern dort die Patientendaten ab. Bisher nur in der Praxis selbst, auf Rechnern, die selbstverständlich nicht am Internet angeschlossen sind. Jetzt sollen wir alle zwangsweise am Internet angeschlossen werden und ebenso zwangsweise die Daten unserer Patienten dort ablegen.“, so der Netzwerk-Vorsitzende Dieter Adler.
In einer repräsentativen Umfrage des Psychotherapeuten Netzwerks wussten 44 % der befragten Versicherten nichts von der Gesundheitscloud. 86% lehnten die zentrale Speicherung ihrer medizinischen Daten in der Cloud ab.
Vergessen werden darf dabei nicht, dass in der Cloud brisante Daten gespeichert werden. Mit oft weitreichenden Folgen für Betroffene. Während grippale Infekte oder eine Zahnwurzelbehandlung noch harmlos sind, können Geschlechtskrankheiten, Schwangerschaftsabbrüche, psychotherapeutische Behandlungen und Daten sowie Suchtmittel oder Alkoholabhängigkeit hieraus weitreichende Folgen haben. Nicht zu vergessen: die Daten müssen mindestens zehn Jahre gespeichert bleiben. „Da kann schon mal eine depressive Krise, die bei einem Zwölfjährigen psychotherapeutisch behandelt wurde -vielleicht weil sich die Eltern getrennt haben-, mit 21 noch zum Verhängnis werden: der junge Mensch weiß vielleicht nichts mehr davon – die Akte in der Cloud schon!“
Auch Dritte haben jetzt Interesse an den Daten angekündigt. So forderte im Juni der Verband der Betriebsärzte, die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM), die Politik auf, ebenfalls Einblick in die Gesundheitscloud zu bekommen.
Damit werden Einstellungs- und Weiterbeschäftigungsuntersuchungen zum „Kinderspiel“ – der Arbeitgeber kann alle Krankheiten des Arbeitnehmers lückenlos erfahren. Daten- und Persönlichkeitsschutz wird so Farce: wer dem Betriebsarzt den Einblick verweigert, kann die Einstellung oder Weiterbeschäftigung vermutlich getrost vergessen. Und Schwangerschaften würden auch sofort publik.
Das neugegründete Arbeitsbündnis gegen Datenmissbrauch in der Medizin will die Öffentlichkeit informieren und gleichzeitig mit Behandler- und Patientenvertretern sowie Datenschützern neue Modelle der Digitalisierung entwickeln.
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